»Wovor hast du Angst, Vanessa? Dunkelheit ist nur das Fehlen von Licht.«

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Das Licht knipst aus. Doch es ist ein anderes Ausknipsen. Ich sehe nicht den Moment, wie die Lichterketten ausgehen, wie das kleine Nachtlicht an meinem Schreibtisch auf einmal den Geist aufgibt – ich laufe in das ausgeknipste Licht hinein… Unter meinen Schuhen knirscht herabgefallenes Laub, der Wind weht in meinen Haaren. Ich erblicke nichts außer einem Feldweg, auf dem schier nichts zu sehen ist. Eine angrenzende, immer dichter werdende Reihe an Bäumen.

Das… ist Dunkelheit.

Seit fast zwanzig Minuten sind wir unterwegs. Mein Freund hält stetig meine Hand fest als wäre ich ein Kind. Obwohl ich strikt darum gebeten hatte, dass er nie meine Hand loslassen darf, fühlt sich ein kleiner Teil in mir merkwürdig. Wir sind schon einmal in purer Dunkelheit um den See bei mir in der Nähe herumgelaufen, und bis auf einen Hasen, zwei Jogger und einige Fahrradfahrer ist uns nichts und niemand begegnet. Kein Monster, keine gruseligen Schatten… Es waren nur er und ich.

Trotzdem fühlte es sich nicht danach an. Aber wieso?

Was ist Dunkelheit?

Dunkelheit wird als »lichtarmer Zustand« definiert. Wobei lichtarm albern ist. Ich schlafe lichtarm ein, und das mit Lichterketten, einem Nachtlicht und offener Zimmertüre – schon seit ich klein bin. „Lichtarm“ ist für mich, wenn trotzdem noch Stromkosten gezahlt werden oder der Mond herumschimmert. Und Dunkelheit ist für mich, dass ich die Augen ganz weit aufgerissen habe und versuche, genau dasselbe zu sehen, wie mit Licht. Und dabei scheitere ich, weil eben kein Licht um mich herum ist.

Im Laufe meiner Recherche habe ich einige Definitionen, Symbole und auch Vergleiche gefunden, die mich die Stirn haben runzeln lassen. Dunkelheit als Form der Weisheit der Natur, als biblisches Symbol.

In der Bibel gibt es einiges Interessantes zum Thema Dunkelheit und Finsternis – und die klare Position dazu. Das folgende Evangelium zeigt das am besten.  

„Da sprach Jesus zu ihnen: Es ist das Licht noch eine kleine Zeit bei euch. Wandelt, dieweil ihr das Licht habt, dass euch die Finsternisse nicht überfallen. Wer in Finsternis wandelt, der weiß nicht, wo er hingehet“ | Johannes, 12:35

Dunkelheit ist also ein lichtarmer Zustand mit mieser Bedeutung. Was können wir uns jetzt logischerweise davon versprechen? Richtig…

… Angst.

2

»Da ist etwas«, sage ich und rüttle an dem Arm meines Freundes. Er schaut nicht mehr in dieselbe Richtung, in die ich gerade schaue. Es ist Licht durch eine Kulisse von engstehenden Bäumen in der Mitte des Waldes.

»Da ist nichts«, entgegnet er mit einem tiefen Seufzen.

Er hat die Frage beantwortet – schon fast ein Dutzend Mal. Er weiß, dass da draußen nichts lauert; nur Vögel, Rehe und andere Lebewesen, die die Nacht begrüßen und umherstreifen. Er weiß, dass er keine Angst haben muss.

Doch ich sehe Monster in den Bäumen, ich höre herumlaufende Schatten in Form von fallenden Blättern, ich spüre den Atem der Angst um meinen Körper als einen Nebel. Ich sehe alles und nichts. Das ist das Lustige an der Dunkelheit.

Ich habe mittlerweile eine Kapuze auf, eine Taktik von uns, die Angst ein wenig zu dämmen. Ich fühle mich wohler, wenn ich sie aufhabe, so kann ich mich für den Moment nur auf den Weg vor mich konzentrieren. Je länger wir unterwegs sind, desto kräftiger wird der Griff um die Hand meines Freundes. Je länger wir unterwegs sind, desto klarer wird, was sich seit Jahren in meinem Inneren ausgebreitet hat und mir das hier erschwert: ausgefallene Fantasie.

Warum haben wir Angst vor der Dunkelheit?

Die Angst der Dunkelheit hat tiefe Wurzeln: Sie beginnt mit Menschen und sie beginnt im Menschen. Unsere Vorfahren haben die Angst vor der Dunkelheit erkannt: Die Sicht ist eingeschränkt, die Finsternis ist voller wilder Raubtiere. Es ist also eine berechtigte Angst, die uns schützen soll.  

Kinder haben häufig größere Angst vor der Dunkelheit, wenn sie eine Fantasie haben, in der sie Monster, unsichtbare Geister und Co. ausmachen. Nichts desto trotz sollten Eltern die Ängste ihrer Kinder sehen und entsprechend damit umgehen. Ihnen mitzuteilen, es wäre »gar nichts dort« und man »bildet es sich nur ein« bringt nichts außer noch mehr Frustration und Angst, die bis ins Erwachsenenalter reichen kann.

Wenn wir erwachsen werden, schwinden mehr und mehr Ängste. Doch sollte die panische Angst anhalten, spricht man in Fachkreisen von Achluphobie oder Nyklophobie, auch bekannt als die Angst vor dem Nebel und der Dämmerung. Dann muss man sich Therapien unterziehen und mit der Finsternis konfrontiert werden – keine schöne Erfahrung. Und wenn wir ehrlich sind, niemand wird die Angst von der Dunkelheit so richtig los…

Dunkelheit: Hand in Hand mit Horror und psychologischer Angst

Auch, wenn die Urangst keinen richtigen Auslöser hat, so zählen sich Horrorfilme, Literatur und die eben erwähnte Fantasie ganz weit oben zu verstärkenden Faktoren. Wenn es etwas Natürliches ist, sich Monsterlein und Gespensterchen im Kopf auszumalen und sechs Jahre alt zu sein – was passiert mit uns, wenn wir als Erwachsene Horrorfilme sehen und die dort gesehenen Gestalten plötzlich in unserer Umgebung platziert sind? Unsere Urangst breitet sich aus. Das ist der gutgelungene Trick von gutgelungenen Horrorfilmen; sie verfolgen uns tagelang und münden in psychologischer Angst. Effekte, Musik, Visualisierungen, die gezielt eingesetzt werden, um uns nachts nicht schlafen zu lassen (Wobei das meiner Meinung nach eine echte Kunst ist, die mich nach wie vor begeistern kann).

Ich selbst bin früh mit Horrorfilmen in Berührung gekommen und habe seither ständig Bilder im Kopf, die nicht förderlich sind, sobald es dämmert. Das Einzige, was es lindern kann, ist nicht nur eine Reihe an Dingen zu beachten, die Horrorfilme und den Konsum angehen (siehe Ende), sondern sich auch klar zu werden, dass Angst vor Finsternis in Ordnung ist. Es ist »nur« generalisierte Angst ohne Auslöser aber mit Grund.

3

Wir sind auf dem Weg zurück nachhause.

Der Wind hat angefangen zu rauschen, die Blätter sind feucht vom Regen. Ich höre ihn, den Regen. Ich spüre die Hand meines Freundes. Ich schließe die Augen und weiß, dass es nicht schlimm ist, dieses kalte Gefühl im Rücken zu spüren. Ich halte die Augen geschlossen und atme tief durch, ehe ich mich ein weiteres Mal umdrehe und nichts hinter mir finde.

»Du wirst auch nichts finden«, sagt mein Freund als ich ihm von meinen Gedanken erzähle.

Und damit hat er recht.

Ich werde nichts hinter mir finden, außer den Gestalten, die es nur in meinem Kopf gibt. Es ist alles nur eine Kopfsache.

Je öfter ich hinter mich blicke, desto größer wird der Abstand von mir zu dem Wald, der mich absolut unversehrt hinterlassen hat.

Ich bin nach wie vor wachsam: Ich schlafe mit Lichterketten und manchmal mit meinem Hund Sammy neben mir, aber jedes Mal, wenn ich Angst verspüre, mache ich drei Dinge: Abwarten, Durchatmen, Umdrehen. Das hat mir geholfen, eine gewissen Kontrolle von der Urangst zu haben, die ich sowieso nie loswerde.

Was bei Horrorfilmen zu beachten ist:

  • Nie alleine und in isolierter Dunkelheit konsumieren
  • Backstage-Szenen und das Making-Of ansehen, um die Kunst (oder vielleicht doch Wissenschaft?) dahinter zu sehen
  • Darüber sprechen: Was hat dir Angst gemacht? Warum?
  • Darüber lachen: Was war hervorsehbar? Warum war es idiotisch, dass die Protagonistin oder ein Protagonist wieder alleine in den Keller gelaufen ist?
  • Sich klar machen, dass nichts davon real ist: Keine Gespenster, keine Horrorfiguren und auch keine dummen Protagonisten, weil wir uns mit unseren Ängsten auseinandersetzen!

Somit sollte man nicht versuchen, die Angst vor der Finsternis zu bekämpfen, sondern sie einzuschränken und sich bewusst zu machen, mit was man es zu tun hat. Losgeworden ist die Angst kaum jemand, also werde ich es auch nicht. Ich habe nur gelernt, was es heißt, seine Angst zu steuern, und sich vor seiner Angst, wortwörtlich, nicht in die Dunkelheit drängen zu lassen.

Text: Vanessa S.