Qual durch Social Media & warum wir die Wahl haben | Wahl oder Qual?

“Sometimes you need to go offline to get your life on track.“ – Anonymous

Die Herausforderung des Sein-Lassens

Wenn die Orientierungslosigkeit des Alltags wie eine schwarze Wolke über uns schwebt, scheint der Griff zum Handy schon lange nicht mehr rein aus Langeweile zu entstehen, sondern wie eine Zuflucht. Man könnte fast meinen, dass Zuflucht ja etwas Positives sei – aber nein, falsch gedacht. Eine Zuflucht resultiert in jeglicher Weise in Abhängigkeit. Bildschirmzeit über 7 Stunden? Scheiß drauf! Schließlich hat das ja jeder und alle beschweren sich darüber, aber keiner macht vor, wie es anders gehen kann.

Ich werde es auch nicht vormachen, oder 5 ultimative Tipps nennen, um TikTok und Co. loszuwerden. Aber was hier folgt, ist nichts weiter als positive Erfahrungen, die ich gemacht habe, seit ich die Löschen-Taste betätigt hatte. Es ist tatsächlich eine kleine Herausforderung. Niemand verlangt mehr zu tun, sondern weniger. Weniger scrollen, vergleichen, leiden.

Dopamin, Zittern und Langeweile

Dopamin ist ein Hormon im Körper, das durch beispielsweise Nahrungsaufnahme, Geschlechtsverkehr und Entertainment eingeschaltet wird – somit ist es schwierig zu vermeiden. Das Gehirn signalisiert uns, dass die momentan ausgeführte Aktivität einen Nährwert hat, unser Überleben sozusagen sichert. Somit, kein Geheimnis, dass Binge-Eating, Übergewicht, Pornosucht, Sexsucht und eben auch Handysucht und übermäßiges Konsumieren von Social-Media-Beiträgen existieren – denn sind wir mal ehrlich, niemand bezeichnet sich selbst gerne als „Süchtigen“.

Je mehr wir also in einem Suchtverhalten stecken, desto mehr signalisiert die Sucht dem Körper einen Nährwert. Das klassische Beispiel: Man sitzt auf der Couch, möchte das Handy weglegen und jetzt endlich etwas Produktives machen, doch kaum liegt das Handy nicht mehr zwischen den Fingern, erbebt eine Welle von schlechten Gefühlen in unserem Inneren. Und was passiert dann? Man greift nach dem Smartphone, öffnet Social Media und… schwups! Ganz viel Dopamin, damit wir uns beim Konsumieren von kurzen Inhalten wieder wohlfühlen.

Bei mir verlief alles ziemlich schnell. Nachdem ich bei mir selbst oft genug beobachten konnte, dass ich mich nicht gut fühlte, wenn ich zu viel von beispielsweise TikTok konsumiert hatte, fasste ich den Entschluss die App schnell zu löschen. Und nach zwei Tagen, als ich immer mehr das Gefühl hatte, mein Dopamin-Überschuss (der ja dann eigentlich ein Mangel ist) stillen zu müssen, löschte ich auch den Rest. Und die Tage darauf waren sehr schwer.

Wer stetig auf kurze Inhalte reagiert, kann sich schwerer bei anderen Inhalten konzentrieren. Ich stellte fest, dass ich an jenem Abend, an dem ich auch meine Apps gelöscht hatte, angefangen hatte, unruhig zu werden. Ich fühlte mich, als wäre mein Kopf eine irritierte Stelle, die nach Aufmerksamkeit verlangte. Ich versuchte etwas für meine Seminararbeit zu machen, gleichzeitig Matheaufgaben zu lösen und nebenbei Musik zu hören. Ich lief hin und her, wusste nicht wohin. Doch je mehr man davon übersteht und dagegen ankämpft, desto besser wird es. Und dann kommt die dritte Stufe.

Langeweile. Absolute Langeweile. Viele Menschen, die ein sogenanntes „Dopamin-Detox“ versuchen, verzichten neben Social Media, Sex, Süßigkeiten und anderem suchtähnlichen Verhalten auch auf Musik, da Musik oftmals auch eine zusätzliche Stressfunktion im Körper anschalten kann (sei es, weil man tausend Dinge gleichzeitig macht und Musik hört, oder nicht allein mit seinen Gedanken sein kann). Und auch ich habe immer mehr auf Musik verzichtet, es nicht ganz weggelassen, aber gemerkt, wie viel geordneter und ruhiger der Geist sein kann.

Außerdem kann diese auftretende Langeweile durch überhaupt keine Stimulation in jeglicher Weise helfen, im Hier und Jetzt zu leben, statt dem Scheinleben von anderen Menschen zuzusehen.

Der Vergleich

Man hört es von überall, aber das offensichtlich wahre Klischee von Vergleichen auf Social Media ist in den letzten Jahren tatsächlich eine Nummer zu groß geworden. Sei es, dass immer mehr junge „Millionäre“ vor schicken Ferraris posen, dabei Sonnenbrillen tragen und allen vermitteln, sie würden doch tatsächlich ein so sonniges Leben führen. Oder Frauen, die so perfekt und vollkommen wirken, dass sie in jedem jungen Mädchen hunderte Fragen und Zweifel aufwerfen. Hat man sich einmal von dieser Fake-Realität erholt, sind auch die Vergleiche geschrumpft. Ein gesunder Vergleich, der zum Wachsen beitragen kann, ist absolut gerechtfertigt, oder Idealen zu folgen, aber warum sollte der natürliche Mensch sich mit einem Filter vergleichen?

Die gewonnene (?) Zeit

Bildschirmzeit von 7 Stunden scheint der Durchschnitt zu sein, wenn ich mich in meinem Umfeld umhöre. Es sei ja kein „Tabu“ mehr, jeder glotzt auf den Mini-Bildschirm. Natürlich kann man während man auf den Bus wartet, 10 TikToks anschauen, aber man kann auch die Vokabeln für die nächste Spanisch-Lektion wiederholen. Man könnte hunderte Bilder liken, während man kurz eine Pause vom Lernen macht, aber könnte man nicht auch kurz um den Block spazieren? Wie wäre es mit weniger TikToks, stattdessen einem nährenden Gespräch mit den Liebsten? Die kleinen gewonnenen Minuten können vieles bewirken.

Ich hatte beispielsweise nie eine Bildschirmzeit von 7 Stunden, ich würde meine Screentime auf maximal zwei Stunden schätzen. Trotzdem fand ich es viel zu übergreifend, und konnte mich nicht mit dem Gedanken anfreunden, noch mehr Zeit zu verlieren. Da ich persönlich nun kein Interesse mehr daran habe, Social Media zu verwenden (es sei denn, aufgrund von beruflichen Vorteilen), klingt es natürlich sehr radikal, absolut keine Apps mehr zu verwenden.

Aber ich finde auch, es ist schon viel gewonnen, wenn man einfach nur einen gesitteteren Umgang mit den Plattformen pflegt. Wer sich das allerdings nicht zutraut (oder wie ich, das gesamte Interesse verliert), sollte die Apps definitiv löschen.

Und jetzt?

Wer sich davon nicht überzeugt genug fühlt, sollte sich einfach selbst mit dem Thema auseinandersetzen. Wer kein Problem darin sieht, sich seine Zeit von Social Media rauben zu lassen, oder vielmehr einen Ausgleich dazu gefunden hat, dem gratuliere ich. Ja, wir haben die eindeutige Wahl, Social Media (nicht) zu nutzen, dieser Gruppenzwang existiert höchstwahrscheinlich nur in unserem Kopf oder vielleicht so gering, dass wir ihm einfach nur sofort nachgegeben haben.

Ich habe nur positive Resultate erfahren dürfen. Ich nannte es anfangs einen „Detox“, bis mir aufgefallen ist, dass ich mir die Apps gar nicht mehr zurückwünsche, sondern ganz darauf verzichten möchte. Natürlich greife ich manchmal zu meinem Handy und überlege, ob ich jetzt irgendwo drauftippen kann, bis mir auffällt, dass die Apps weg sind und ich mich wieder daran erinnere, dass ich etwas anderes (Produktiveres) machen könnte.

Seither kann ich mich besser konzentrieren, nehme Dinge viel besser wahr, wie zum Beispiel die Umwelt. Ich muss beim auf den Bus warten nicht mehr immer Musik hören und mit dem Bein wippen. Ich bin eindeutig ruhiger geworden, und auch meine Stresszufuhr ist gesenkt worden, wodurch ich entspannter auf bestimmte Momente reagieren kann. Meine Zeit – wie oben schon erwähnt – kann ich jetzt viel besser und effizienter nutzen und einteilen. Und vielleicht, behaupte ich jetzt ganz mutig, dass ich etwas mehr in mir, und im Hier und Jetzt lebe.

Text: Vanessa S.