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Kategorie: Toleranz und Akzeptanz (Seite 2 von 3)

Woher kommst du? – Ich komme von hier!

Als unsere Autoren Gabriel und Vanessa im Juni 2022 am Schülerzeitungskongress in Berlin teilnahmen, konnten sie auch Kontakte zu anderen Schülerzeitungsredaktionen knüpfen. Im Folgenden möchten wir unseren Leserinnen und Lesern einen Kommentar des Autoren Philipp Zschau von der Schülerzeitung „script“ des Gymnasiums Renningen aus Baden-Württemberg vorstellen. Eine Sonderausgabe der Redaktion zum Thema „Rassismus“ war beim Schülerzeitungswettbewerb der Länder ausgezeichnet worden.

Ein Portrait über die vermutlich unverschämteste Frage der Welt

Woher kommst du?  Diese vermeintlich einfache Frage hat enorme Sprengkraft – doch warum wird diese Frage überhaupt gestellt und warum begreifen häufig „weiße, westeuropäische“ Menschen es nicht, dass es kein legitimes Motiv gibt, um diese Frage zu stellen? Viele Menschen mit sichtbarem Migrationshintergrund können ein Lied von ihrem Leid mit der „Woher-Frage“ singen und gehen dennoch völlig verschieden damit um. Journalistin Vanessa Vu, die mit Ihrer Migrationserfahrung viele negative Ereignisse verbindet, spricht mit wildfremden Personen verständlicherweise nur ungern darüber. Rechtfertigungen und Entschuldigungen, dass man ja nur „neugierig“ sei, akzeptiert sie nicht. Es interessiert Sie nicht, wie die Frage gemeint ist. Es kommt darauf an, wie sie ankommt. Wissenschaftsjournalistin Mai Thi-Nguyen-Kim geht an die Sache völlig anders heran und sieht es als Ihren Bildungsauftrag an, darüber aufzuklären und akzeptiert dabei auch das Motiv der Neugier. So verschieden der Umgang der beiden Deutschen mit dem Problem auch ist, ist es noch immer die Frage selbst, die nicht nach Antworten sucht, sondern diese schon vorgibt. Wie sollen wir als Gesellschaft damit umgehen und was sollte dabei jeder einzelne von uns beachten?

Wir schrieben das Jahr 2019. Hier finden wir den Auslöser für die womöglich größte Debatte über Rassismus und Stigmatisierung seit Erfindung des Internets. Ihren Auslöser hatte die sogenannte „#vonhier“-Debatte in der RTL-Fernsehsendung „Das Supertalent“. Die Szene in dieser Sendung, in der Dieter Bohlen mithilfe der „Woher-Frage“ ein Mädchen, das aus Herne in Nordrhein-Westfalen kommt, beinahe versehentlich über die Einwanderungsgeschichte Ihrer Ur-Großeltern ausfragt, ist ein Paradebeispiel für die ungestillte, gar unverschämte Neugier, mit der Menschen diese Frage stellen und überhaupt nicht merken, was sie da eigentlich anrichten. Dieter Bohlen fragte zunächst, woher das Mädchen komme, welches antwortete, dass sie eine Hernerin sei. Auf die folgende Frage, woher Ihre Mutter komme, antwortete Sie erneut, dass auch die Mutter eine Hernerin sei. Dieter Bohlen ließ nicht locker und fragte erneut, woher sie komme, doch er erhielt nicht die Antwort, die seine Neugier gestillt hätte. Doch statt dies zu akzeptieren, hatte er erneut die „Woher-Frage“ gestellt, jedoch diesmal an die Mutter, wobei dann herauskam, dass die Familie thailändische Wurzeln hat.

Dass hier etwas gewaltig schief gelaufen ist, ist offenbar, doch ich bin überzeugt, dass das jedem „weißen, westeuropäischen Menschen“ hätte passieren können, da diese Menschen oft gar nicht wissen, wie es sich anfühlt, dieser Frage ausgesetzt zu sein. Ein anschauliches Beispiel, das eben diese weißen Personen, die dieses Gefühl nicht kennen können, versucht zu erklären, wie es sich anfühlt, dieser Frage ausgesetzt zu sein, kommt von Wissenschaftsjournalistin Mai Thi-Nguyen-Kim: „Das ist ungefähr so, als wärst du im Fußballstadion und alle um dich herum haben das Mannschaftstrikot an, nur du nicht. Dabei bist du im Herzen ein genauso großer „Die-Hard-Fan“ von dieser Mannschaft, doch alles, was die anderen sehen ist, dass du kein Trikot anhast.“ Wozu das führt hat Vanessa Vu beschrieben als unzählige Nadelstiche, für die sich niemand bei Ihr entschuldige, sondern sogar noch über Sie beschwere, wenn Sie das nicht hinnehmen möchte.

Was sich seit dieser „#vonhier“-Debatte verändert hat, ist leider noch immer sehr überschaubar. Rassismus und Diskriminierung sind noch immer Teil des Alltags von Menschen mit sichtbarem Migrationshintergrund. Noch immer gibt es Menschen, die selbst nach freundlichen Hinweisen nicht damit leben können, dass die Frage nach der Herkunft eine persönliche und intime Frage ist, die sich nicht eignet, um ein belangloses Small-Talk-Gespräch zu führen. So lange das nicht nur nicht verstanden wird, sondern noch immer geleugnet wird und es noch immer die Spezies der „Nein, ich meine: wo kommst du WIRKLICH her?“-Fragenden gibt, ist an ein Ende dieser alltäglichen, rassistischen und diskriminierenden Frage nicht zu denken. Was jeder einzelne gegen diesen gesellschaftlichen Laster tun kann, ist eigentlich simpel und einfach, denn diese Frage, die nicht selten der wundeste Punkt eines Menschen ist, einfach auszusparen, sollte für niemanden eine Herausforderung sein. Wir müssen uns mit den Konsequenzen, die unser Handeln und Tun hat, auseinandersetzen, statt uns in Ausreden und Ignoranz zu flüchten. Nun liegt es an uns allen, das auch umzusetzen und uns dabei gegenseitig die Augen zu öffnen.

Deshalb ist es nur richtig und wichtig, wenn jeder in Zukunft dreimal überlegt, ob man nicht die Gefühle anderer Menschen verletzt, bevor man eine derartig persönliche und intime Frage stellt, wie die Frage nach der Herkunft und oft sogar der der Vorfahren.

Text: Philipp Zschau (leicht bearbeitet)

Alltagsrassismus und gesellschaftliche Verantwortung: „Script“ zeigt Engagement gegen Fremdenfeindlichkeit

Als unsere Autoren Gabriel und Vanessa im Juni 2022 am Schülerzeitungskongress in Berlin teilnahmen, konnten sie auch Kontakte zu anderen Schülerzeitungsredaktionen knüpfen. Im Folgenden möchten wir unseren Leserinnen und Lesern einen Leitartikel der Schülerzeitung „script“ des Gymnasiums Renningen aus Baden-Württemberg vorstellen. Eine Sonderausgabe der Redaktion zum Thema „Rassismus“ war beim Schülerzeitungswettbewerb der Länder ausgezeichnet worden.

Im Schuljahr 2020/21 hat die Schülerzeitung „script“ am Gymnasium Renningen (westlich von Stuttgart) eine ganze Ausgabe dem Engagement gegen Rassismus in unserer Gesellschaft gewidmet. Dafür ist sie 2022 unter anderem mit dem Sonderpreis „EinSatz für eine bessere Gesellschaft“ des Bundesfamilienministeriums ausgezeichnet worden. Der folgende Artikel führte die Leser dabei in das Thema ein und erklärte, was unter Rassismus zu verstehen ist:

„Keine Angst, der beißt nur Schwarze!“ – Rassismus begegnet uns überall und jederzeit im Alltag. Als ich vor einigen Jahren auf der Terrasse eines Restaurants zum Abendessen saß, musste ich diesen Ausspruch eines Gasts am Nebentisch miterleben. Diese spontane rassistische Bemerkung wurde vollkommen unvermittelt geäußert, der Kellner hatte sich zuvor nur besorgt über den Hund des Gastes gezeigt. An der Bemerkung selbst hat aber niemand Anstoß genommen.

Schon fast alle Mitmenschen haben bereits traurige Erfahrungen mit rassistischen Angriffen gemacht, oft werden sie leider selbst Ziel von Angriffen. Denn Rassismus ist in Deutschland leider noch zu oft Teil des Alltags der Menschen, man spricht von „Alltagsrassismus“. Viel zu viele Menschen in Deutschland sind im Alltag rassistischen Beleidigungen, Benachteiligungen oder sogar rassistisch-motivierten Angriffen ausgesetzt. 2019 zählte das Bundesinnenministerium 7.909 rassistische Straftaten in ganz Deutschland. Das waren rund drei Prozent mehr als im Vorjahr. [Bundesinnenministerium (2020): „Politisch motivierte Kriminalität im Jahr 2019“, S. 5; Glossar der Neuen deutschen Medienmacher: „Ausländerhass, Fremdenfeindlichkeit“.] Laut der „Mitte“-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung von 2019 vertreten rund sieben Prozent der Bevölkerung rassistische Auffassungen. 19 Prozent sind „fremdenfeindlich“ eingestellt, weil sie etwa Aussagen zustimmen wie „Es leben zu viele Ausländer in Deutschland“. [https://mediendienst-integration.de/desintegration/rassismus.html]

Doch was ist eigentlich „Rassismus“? Rassismus ist der irrige Glaube daran, dass die Menschheit in Rassen eingeteilt sei, die sich voneinander wesentlich unterscheiden würden. Rassismus entsteht dort, wo man von den äußerlichen Merkmalen von Menschen direkt auf deren inneren Werte, Verhaltensweisen und deren Persönlichkeit Rückschlüsse zieht. Sind dies positive Rückschlüsse (zum Beispiel das Vorurteil, alle JapanerInnen seien besonders ordentlich), spricht man von „positivem Rassismus.“ Viel häufiger und hochproblematisch ist der „negative Rassismus“, bei dem die jeweiligen Rassisten davon ausgehen, dass ein bestimmter Mensch bösartig, faul, feige, diebisch, und so weiter sei, nur weil er bestimmte äußerliche Merkmale hat, einer bestimmten Religionszugehörigkeit hat oder einer bestimmten ethnischen Gruppe zugehörig ist. Tatsächlich gibt es ja sogar Rassen.

Aber eben nicht bei den Menschen. Es ist ganz einfach zu verstehen: Rassen entstehen dann, wenn in die natürliche Selektion der Evolution eingegriffen wird und künstlich ganz bestimmte Merkmale herbeigezüchtet werden. Das haben wir Menschen bei fast allen Nutz- und Haustieren so herbeigeführt. Am Beispiel der Hunde wird dies sehr deutlich: Ohne das einzelne Exemplar zu kennen, darf man annehmen, dass Husky-Hunde viel und gerne laufen, bestimmte kleine Hunderassen zum Kläffen neigen, Border Collies sehr intelligent sind, Golden Retriever gerne Stöckchen holen und ein Foxterrier einen starken Jagdtrieb hat.

Diese Merkmale wurden diesen Tierrassen teilweise über Jahrhunderte angezüchtet, indem man nur diejenigen Exemplare sich miteinander vermehren ließ, die über die gewünschten Merkmale in ganz besonderem Maße verfügten. Unter den Menschen hat es diese Form der artifiziellen Selektion nie über Jahrzehnte gegeben.

In Artikel 3 des Grundgesetzes steht derzeit trotzdem noch, dass niemand wegen seiner „Rasse“ diskriminiert werden dürfe. Diese 1949 festgelegte Terminologie wurde also bis heute nicht verändert. In den Museen unseres Landes wird heute noch ungeniert koloniale Raubkunst aus Afrika gezeigt und in den Kellern von Universitäten und Instituten liegen heute noch tausende Schädel der Opfer deutscher Kolonialverbrechen – ohne dass sie nach Afrika überführt werden dürfen. In unseren Schulbüchern wird die muslimische Kultur und Religion immer noch als Alterität gezeigt, also als „die Anderen“. Für das Thema „Holocaust“ gibt es im neuen Bildungsplan der gymnasialen Klasse 9 Platz für genau eine Doppelstunde – und die Schulbuchverlage weisen teilweise nur eine Doppelseite für das Thema aus.

Der Kampf gegen den Rassismus muss für unsere Gesellschaft aber eines der zentralsten Anliegen sein: Das singuläre Menschheitsverbrechen des Holocaust war nur möglich, weil der Mehrheit der Deutschen in den 1930er und 1940er Jahren das Schicksal der zu Feinden deklarierten ethnischen Minderheiten egal war. Die Nationalsozialisten konnten Menschen ermorden und vernichten, weil diese nicht von der Gesellschaft geschützt waren – weil sie schon zuvor als Außenseiter und „Minderwertige“ ausgegrenzt worden waren. Sowohl Juden als auch Sinti und Roma wurden durch Propaganda und Terror zunächst ausgegrenzt und aus der Gesellschaft isoliert. Als dies möglich war, wurde diese Ausgrenzung durch die Nürnberger Rassegesetze zum Gesetz gemacht. Auch dies wurde von der Bevölkerung hingenommen, vielfach unterstützt.

Als auch die Novemberpogrome 1938 keine entscheidende Empörung und Unterstützung für die jüdischen MitbürgerInnen entfachte, wurde aus dem staatlich organisierten Terror schrittweise eine gezielte Enteignung und Tötung der Menschen in Gefängnissen, Ghettos und immer mehr in den dafür errichteten Konzentrationslagern. Dies war möglich geworden, da der Nationalsozialismus die jüdischen Mitmenschen zu „Parasiten im deutschen Volkskörper“ erniedrigt hatte, ihnen also jegliche Menschlichkeit abgesprochen hatte und sie zudem zur existenziellen Bedrohung erklärt hatte. Auch dies rief kaum bedeutenden Widerstand in Deutschland hervor, im Gegenteil: Wie der Historiker Götz Aly eindrucksvoll aufgezeigt hat, bereicherten sich viele in Deutschland noch an den Enteignungen, an der Kriegsbeute und an der Zwangsarbeit der so Unterworfenen.

Am Ende stand mit der Wannsee-Konferenz vom 20. Januar 1942 die Planung, Organisation und Durchführung der gezielten Auslöschung aller jüdischer Mitmenschen auf dem gesamten Kontinent. Die Vernichtungslager in Auschwitz-Birkenau, Treblinka, Chelmno, Majdanek, Bełzec und Sobibor ließen dabei den Genozid zu einem industriellen Massenmord werden, der in seiner Unmenschlichkeit und Grausamkeit alles bisher Dagewesene überstiegen hat.

Dieser historischen und gesellschaftlichen Verantwortung will sich die diesjährige Ausgabe der Schülerzeitung „script“ am Gymnasium Renningen stellen. Schülerinnen und Schüler haben sich dabei während der schwierigen Corona-Zeit aus verschiedenen Perspektiven und mit verschiedenen Ansätzen dem Thema Rassismus angenommen. Dabei sind eigene Erfahrungen und Meinungen genauso eingeflossen wie Themen aus dem Schulunterricht der letzten Jahre. Mit unserem Thema und den diesjährigen Beiträgen unterstützen wir dabei das Projekt „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ und tragen dazu bei, dass heutige Generationen aus der Geschichte lernen: Nur, wenn jeder Einzelne frei ist und Mensch sein kann, können wir alle freie Menschen sein.

Text: Redaktion der Schülerzeitung „script“ am Gymnasium Renningen in Baden-Württemberg

„Zu schnell geflüchtet, um Fuß zu fassen“: Die Gedichte der „Open Mind Night“ an der FOS/BOS Friedberg

Im Folgenden werden nach und nach Gedichte und „Slams“ der „Open Mind Night“ 2022 veröffentlicht.

Winter – Vanessa S.

Meine ersten Schritte gelangen mir mit seiner Hand,

mein erstes Königreich bauten wir aus Sand.

Das erste Mal bin ich gefallen, er fing mich auf,

wir spielten zusammen,

und er nahm seine wichtige Zeit in Kauf.

Tausende Erinnerungen, hunderte Tränen,

tausendmal gelacht, zwischen Wünschen und Plänen.

So viel gewollt, so viel getan und erreicht,

er hat mir gezeigt, das schönste Ziel ist nie leicht.

Jahre spulten vor, ich wurde gut und richtig,

ich habe nichts davon gewusst, als wäre es unwichtig.

Er brachte jeden zum Lachen, verfolgte sein Leben,

dachte, dass sei sein Wille, sein bestimmtes Streben.

Er sagte: „Das Leben wirft Steine auf dich,

versuche auszuweichen, such‘ das Licht.“

Aber das erklärte meine Sorge nicht.

Bis ich verstand, jedes Jahr kommt der Winter.

Doch für ihn jeden Tag.

Egal, was er tat, er schob sein Leid zurück,

was er erreichte, erreichte er mit Arbeit, nicht mit Glück.

Er unterstützte, doch ihn unterstützte niemand,

immer am Lachen, aber den Rücken an der Wand.

Immer am Lachen, aber so oft im Stich gelassen,

Zu schnell geflüchtet, um Fuß zu fassen.

Aber das erklärte meine Angst nicht.

Bis ich verstand, jedes Jahr kommt der Winter.

Doch für ihn jeden Tag.

Was andere zu ihm sagten, erwähnte er nie,

er hörte mir aber immer zu, ich frage mich wie.

Was er durchmachte, war nicht fair,

er hielt durch, als wäre es nicht schwer.

Er erzählt, ich falle auseinander wie eine Perlenkette,

und zerbreche wie Glas.

Aber das erklärte meine Panik nicht.

Bis ich verstand, jedes Jahr kommt der Winter.

Doch für ihn jeden Tag.

Er steht auf, er macht weiter und er gewinnt,

Er sieht die Freude wie ein Kind.

Er ist talentiert, reflektiert und prägt,

Dass er jeden um sich herum rettet, bleibt unerwähnt.

Sieht denn niemand, was für ein Held er ist?

Er malt alles so bunt, doch in ihm ist es trist.

Aber das erklärt meine Hoffnung nicht,

bis ich verstand, jedes Jahr kommt der Winter.

Doch für ihn jeden Tag.

Deine ersten Schritte gelangen ohne Hand,

dein erstes Königreich zerfiel in Sand.

Das erste Mal bist du gefallen, keiner fing dich auf.

Aber ich bin hier,

nehme alles für immer in Kauf.

Bin eine Soldatin und hole dich zurück ins Leben,

und werde die Welt von deinen Schultern heben.

Für dich kommt der Winter jeden Tag.

Dann lass uns vorerst einen Schneemann bauen.

„Kein Tropfen auf den heißen Stein“ – Willkommenspakete für ukrainische Kinder

Mit viel Liebe und Engagement haben unsere SchülerInnen, LehrerInnen und Eltern über 100 Willkommenspakete für Kinder und Jugendliche, die aus der Ukraine flüchten mussten, gepackt und damit ein Zeichen der Solidarität gesetzt.

In Europa herrscht Krieg und auch wenn angesichts dieser Tatsache die vielen bunten Willkommenspakete wie ein Tropfen auf den heißen Stein wirken, ist es dennoch unsere humanitäre Aufgabe jetzt zu handeln. Auch weil Putins Angriff unseren europäischen Werten gilt und ein schwerwiegender Angriff auf die Grundprinzipien der Demokratie ist. Zudem ist es ein Privileg, Haltung zeigen zu können. Frieden in Europa ist seit dem 24.2.2022 keine Selbstverständlichkeit mehr. Und so zeigen wir als Schule mit dieser kleinen Aktion unsere Solidarität mit den Menschen in der Ukraine und lassen Taten folgen. Kleine Taten, die verdeutlichen: Wir stehen der Ukraine bei und wir stehen hinter einer Politik, die sich für Frieden, Humanität und Demokratie einsetzt.

Der Ukrainische Verein Augsburg e.V. nahm die vielen Pakete und weitere Sachspenden heute Nachmittag mit großem Dank entgegen. Die Pakete kämen genau zum richtigen Zeitpunkt, wurde uns gesagt, da noch heute 30 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Augsburg ankommen. 

Die internationale Hilfsbereitschaft ist groß. Und wir sind ein Teil davon. Danke an alle SchülerInnen, an die lieben HelferInnen vom „Schule ohne Rassismus“-Team, an alle KollegInnen, Eltern und FreundInnen, die in so kurzer Zeit dem Aufruf gefolgt sind und mit den vielen Paketen Solidarität und Engagement bewiesen haben!

Text/Fotos: Iris Seemiller

»Ich habe abgetrieben.« | Abtreibung – das wahrscheinlich größte Tabuthema aller Zeiten

Ich weiß, dass dieses Thema „triggernd“ ist, und viele Aspekte vertreten werden, die nicht mit jeder Meinung übereinstimmen. Wer empfindlich auf dieses Thema reagiert, sollte einen anderen Artikel lesen. Der Artikel spiegelt auch nicht die Meinung aller Redaktionsmitglieder wider.

Was ist Abtreibung?

Eine Abtreibung ist die Beendung des Lebens noch vor der Geburt. Durch verschiedene medizinische Eingriffe (Medikamentöser Abbruch, Absaugmethode, Ausschabung, Gebärmutterentfernung) wird der Embryo daran gehindert, sich weiterzuentwickeln. Die Auseinandersetzung mit der Abtreibung spaltet Meinungen häufig in zwei Seiten, weswegen auch Diskussionen sehr emotional behaftet sind, und es nie zu einem Kompromiss kommen könnte.

Abtreibung als Grundrecht?

In vielen Debatten rund ums Abtreiben kommt eine Frage meistens am Anfang: Das Selbstbestimmungsrecht der Frau oder das menschliche Leben – was kommt zuerst?

Wer es nicht weiß: In Deutschland sind Abtreibungen nicht per se erlaubt, nur unter bestimmten Bedingungen dürfen sie durchgeführt werden (medizinische oder kriminologische Indikation). Der Paragraph 218 ist bei Pro-Choice-Aktivisten – diejenigen, die die Meinungen vertreten, dass die Abtreibung die alleinige Entscheidung der Frau ist – kein Kompromiss. Sie finden meist, dass er noch viel zu schwerwiegend sei (siehe unten). Auf der Seite der Lebensschützer scheint der Paragraph 218 auch nicht jeden zufrieden zu stellen.

Was beide Seiten jedoch vereint, ist, dass eine Schwangerschaft häufig ein hohes Armutsrisiko mit sich führt. Immer wieder hört man auf beiden Seiten – also sowohl bei den Pro-Choice-Aktivisten als auch den Lebensschützern, dass die Gesellschaft nicht kinderfreundlich genug ist, um beispielsweise eine alleinerziehende Mutter ihr Kind großziehen zu lassen. Geldprobleme, gesellschaftlicher Status – alles führt dazu, dass die Wahl ein Kind zu bekommen (besonders, wenn man alleine ist) nicht genug Zustimmung bekommt. Daher könnte die Entscheidung bei vielen Schwangeren dazu führen, das Kind nicht zu bekommen.

Die Frage, wo das Leben beginnt

In der Wissenschaft scheint diese Frage nur bedingt beantwortet. Während viele Wissenschaftler*innen befürworten, dass das Leben mit der Zeugung beginnt, sind Sperma- und Eizelle für andere nur das Potential für ein menschliches Leben – der Mensch würde sich kontinuierlich entwickeln, und sei damit nicht gleichzusetzen mit einem geborenen Menschen.

Viele Lebensschützer sind gläubig, und dieser Fakt darf nicht außer Acht gelassen werden. Sie halten sich oft an religiöse Befunde und Glaubenssätze, die ihre Meinung stark beeinflussen. So auch ihre Haltung, wo das Leben beginnt. Pro-Choice-Aktivisten bilden oft ihre eigenen Wertevorstellungen davon, die Moral unterscheidet sich stark.

Aber wo beginnt denn dann das Leben? Diese Frage wird wohl immer unbeantwortet bleiben – und daraus resultiert auch das Problem, ob Abtreibung erlaubt sein sollte oder nicht, ob es ein Grundrecht sein sollte oder die Gesetzeslage bestehen bleiben sollte.

Der Paragraph §218

Die Folgen einer illegalen Abtreibung sind Geldstrafen oder eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren. In besonders schweren Fällen, so heißt es im StGb, sind die Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren ausgeweitet. Wie oben schon erwähnt, ist der Paragraph umstritten. Und wenn man sich die Gründung dieses Paragraphen ansieht, weiß man auch, wieso.

Der Paragraph stammt aus dem Jahr 1871 (15. Mai 1871) (!).

Ein ziemlich veraltetes System, und eine ziemlich veraltete Grundhaltung gegenüber Abtreibungen, die unbedingt beachtet werden sollte. Wir leben schließlich in einer modernen Gesellschaft.

Der Grund, wieso ich diesen Artikel verfasst habe

Ich bin Pro-Choice-Aktivistin und finde, dass Abtreibungen in aller erster Linie die Mutter betreffen. Sie muss die Schwangerschaft austragen und das Kind auf die Welt bringen, was nicht nur körperliche Veränderungen, sondern auch psychische Veränderungen (oder auch Belastungen) mit sich bringen kann. Also sollte sich auch die alleinige Vollmacht haben. Sie sollte meiner Meinung nach ihrer Selbstbestimmung folgen, wenn sie das möchte.

Ich verstehe Lebensschützer, aber häufig kommt es mir so vor, als wäre das Kind nur bis zur Geburt wichtig. Wie es danach aufwächst, unter welchen Umständen, und vor allem wie lange scheint nicht zur Debatte zu stehen. Aber wie fühlt es sich für ein Kind an, in einem Umfeld aufzuwachsen, das es bereits verstoßen hätte, wenn es könnte? Ein Kind jahrelang ohne Liebe aufwachsen zu lassen ist in Ordnung, aber das Kind davor zu schützen, in dem man es nicht so weit kommen lässt, nicht? Wo liegt der Sinn dahinter?

Das „Weil“, das meist auf eine Abtreibung folgt, ist unwichtig. Das ist der Grund für meinen Artikel.

Ich habe abgetrieben, weil das Geld nicht reicht.

Ich habe abgetrieben, weil ich vergewaltigt wurde.

Ich habe abgetrieben, weil ich kein Kind möchte.

Ich habe abgetrieben, weil mein Lebensstil nicht dazu passt.

Ich habe abgetrieben, weil ich zu alt bin.

Ich habe abgetrieben, weil ich zu jung bin.

Ich habe abgetrieben, weil ich mich nicht bereit fühle.

Warum ersparen wir uns nicht das „Weil“ und sagen einfach:

Ich habe abgetrieben.

Das ist der Grund für meinen Artikel. Ich möchte das Tabuthema aufbrechen und die Gründe dahinter zeigen. Vielleicht entscheide ich mich irgendwann, einen weiteren dazu zu schreiben oder sogar meine Meinung zu ändern. Doch warum müssen wir uns rechtfertigen?

Und was sagst Du dazu?

Kommentar/Text: Vanessa S.

»Der Abend der Vielfalt« | Die wunderschöne „Open Mind Night“ der FOS/BOS

Die „Open Mind Night“ der FOS/BOS Friedberg fand am vergangenen Donnerstag in der Aula der Schule statt und begeisterte das Publikum aus SchülerIinnen und Lehrkräften.

Unter einem zahlreichen (getesteten und geschützten) Publikum wurde unsere „Open Mind Night“ von allen SchülerInnen und Lehrkräften inszeniert und durch unsere Haupt-Moderatoren Michele und Andy durch den Abend geleitet. Die Teilnehmer konnten ihre Talente in Gedichten, Tanzbewegungen, Filmen und Musik präsentieren und jeden einzelnen von uns begeistern. Wir wurden durch ein Kaleidoskop aus Eindrücken, Farben, Stimmungen und allen voran dem Grundsatz der Vielfalt und Toleranz geleitet, welches viele inspirierende Augenblicke schaffen konnte.

Jeder von uns hatte die Möglichkeit, sich mit der Frage auseinander zu setzen, inwiefern Alltagsrassismus, fehlende Toleranz und unter anderem auch sexuelle Gewalt den Alltag beeinflussen. Die Talente zeigten, dass diese schwerwiegenden Themen in einer schönen Darstellungsweise jeden erreichen und vor allem etwas bewegen können. Die berührenden Texte zogen uns in den Bann, die erstaunlich gut ausgearbeiteten Filme der SchülerInnen konfrontierten uns mit Themen wie Rassismus und Drogen.

Unsere „Open Mind Night“ wurde von jedem Gast wertgeschätzt, und wir bedanken uns nochmal herzlich bei allen Beteiligten für ihre Arbeit, ihre Ausarbeitung und für diesen wunderschönen, vielfältigen Abend!

Text: Vanessa S.

»Ich hasse meinen Bauch, meine Arme, meine… ARGH… ich hasse meinen Körper!« | Bodypositivity und der Grundstein für unser Selbstwertgefühl

»There’s always some standard of beauty that you’re not meeting. `Cause if you’re thin enough, then you don’t have that ass that everybody wants. But if you have enough weight on you to have an ass, then your stomach isn’t flat enough. It’s all just…f*cking impossbile.« – Taylor Swift, 2019 (in ihrer Dokumentation: Miss Americana)

Was ist Bodypositivity?

 Bodypositivity ist ein Oberbegriff, um unrealistische und diskriminierende Schönheitsideale abzuschaffen und ein breiter gefächertes Spektrum an Körperidealen, Körperformen und allem, was damit zusammenhängt, zu normalisieren. Während in Medien weiterhin Muskeln, straffe Haut und die richtige Prozentzahl an Fett gezeigt wird, setzt Bodypositivity auf Realität: Cellulite, hängende Haut, keine perfekten Formen und abgemessene Größen, nein, alles ist natürlich, solange der Körper gesund ist.

Denn leider verbinden viele Menschen gesund zu sein damit, einen dünnen Körper zu haben. Dabei ist das völliger, tut mir leid, völliger Bullsh*t. Klar, viele Menschen, die einen dünnen Körper haben sind gesund, aber halt eben nicht alle (!). Das bedeutet, nur weil jemand keinen absolut flachen Bauch hat und nicht die Maße eines Werbegesichts hat, muss er oder sie nicht zwangsläufig ungesund sein.

Warum brauchen wir Bodypositivity?

Viele Probleme mit dem eigenen Körper werden von Medien transportiert. Und das ist nichts Neues, und liegt auch nicht an der Generation Z. Körperideale verändern sich über Jahre, Jahrzehnte und sind in verschiedenen Kulturen verschieden definiert. In der italienischen Renaissance war es gern gesehen, wenn Frauen deutlich mehr Kurven hatten als heutzutage, weil es für Wohlstand und Reichtum sprach. Und Männer haben genauso unterschiedliche Ansprüche im Laufe unserer Zeit gehabt: von athletischen Körpern in der Antike bis hin zu Dad Bods (Also nicht dünn, nicht dick, eine Körperform, die vor allem an Männern mittleren Alters gesehen wird). Jedes Geschlecht ist durch verschiedene Epochen geschritten und mit vielen Vorlagen konfrontiert worden.

Und was passiert, wenn wir versuchen, in eine Vorlage zu passen, die nicht zu uns passt? Wir entwickeln Ängste, unsere Psyche leidet darunter und wir stehen in den Startlöchern, an einer Essstörung zu leiden. Wenn wir aber sagen, dass jeder Körper (bis zu einem gewissen Grad, was die Gesundheit angeht) akzeptiert sein sollte, könnten diese Probleme verblassen.  

Was ist toxische Bodypositivity?

Toxisch ist Bodypositivity vor allem dann, wenn es ungesunde Aspekte verschönert. Nein, Bodypositivity ist nicht mehr gut, wenn jemand über 200 Kilo wiegt und gesundheitliche Probleme davonträgt. Dann hilft es schließlich nicht mehr zu sagen: „Fühl dich wohl in deinem Körper, du bist gut wie du bist! Akzeptiere deinen Körper!“ – denn sie verharmlosen, dass dieser Mensch deswegen schlimmstenfalls nicht lange genug lebt. Genauso gilt es anders herum, das heißt, wenn jemand untergewichtig ist.

In beiden (und anderen Fällen) sollte genau differenziert werden, was Bodypositivity ist und was euphemistisch ist. Bodypositivity unterstützt vor allem die „normalen“ Körperformen, die von der Gesellschaft als unästhetisch angesehen werden. Aber wenn jemand zum Beispiel kaum laufen kann, oder nicht mehr die nötige Kraft dazu hat, steht das Ästhetische erstmal außen vor. Dann ist es wichtig, zunächst einen gesunden Körper zu haben, in dem man sich wohlfühlen kann, bevor man ein Bewusstsein dafür entwickelt.

Kommentar: Vanessa S.

»You were asking for it, darling« | Victim blaming

TRIGGER WARNUNG: VERGEWALTIGUNG UND MISSBRAUCH     

»This is what we are here to tell her – if a bus containing iron rods and rapists is plying openly in the city with no rules and regulations, if it can pick up passengers at any time, anywhere – then Madam, you are responsible for it, it is one one elses’s responsibility – it is yours.« – Kavita Krishnan, eine kommunistische Politikerin aus Indien, in ihrer Rede „Freedom without fear“ im Dezember 2013

Was ist Victim blaming?

Unter „Victim Blaming“ versteht man die Suche nach provokativem Verhalten, welches eine Straftat in den Köpfen vieler Menschen verteidigt. Jemand rastet aus? Was hast du gesagt? Du wirst geschlagen? Warum? Und der wohl schlimmste Punkt des Victim Blamings… Du wurdest vergewaltigt? Was verdammt noch mal hast du getragen?

»(…)If she was out at 3 a.m. in the morning, she was being too adventurous‘ We are here to tell her that woman have tjhe very right to be adventurous. We will be adventurous. We will be reckless. We will be rash. We will do nothing for our safety. Don’t you dare tell us how to dress, when to got out at night, in the day, or how to walk or how many escorts we need!(…)«, so Kavita Krishnan.

Wo liegt der Ursprung?

Seit ungefähr 1970 hat sich unter Verteidiger*innen in Vergewaltigungsprozessen eine Taktik durchgesetzt, die sich viele Male als äußerst effektiv erwiesen hat. 1999 gab es beispielsweise einen Freispruch in Italien, da das Opfer Jeans trug, und diese laut dem Richter so schwer aufgingen, dass es sich nur um einvernehmlichen Geschlechtsverkehr gehandelt haben könnte. Victim Blaming gibt es auch bei Narzissten, bei häuslicher Gewalt oder auch bei Rassismus. Und auch gegenüber Männern wird Victim Blaming ausgeübt, ist aber doch sehr gezielt an Frauen gerichtet. Mütter raten ihren Töchtern, sich für ein anderes Outfit zu entscheiden, oder vergewaltigte Frauen bekommen oft die Frage gestellt, was sie anhatten. Und ist die Antwort darauf Futter, dann kommt: »Aber genau das wolltest du doch?«

Dabei liegt das Problem nicht bei denjenigen, die sich so anziehen wie sie möchten, sondern bei denjenigen, die vergewaltigen.

»(…)If she simply wants to go out at night, if she wants to go out and buy a cigarette or go for a walk on the road – is this a crime for women?(…)«, meint Kavita Krishnan.

Warum ist es schädlich?

#THISISNOTCONSENT ist ein Hashtag, unter dem Bilder von Unterwäsche gepostet wurden. Die Symbolik steckt direkt dahinter: Kleidung ist kein Grund, jemandem sexuelle Gewalt zuzufügen. Und das ist der springende Punkt.

Es gibt keinen Grund, jemandem sexuelle Gewalt zuzufügen.

Wie viele Menschen gibt es, die vergewaltigt werden, und ganz normale Klamotten haben? Wie viele Kinder wurden missbraucht und hatten Kinderklamotten an? Egal, wie viel Haut und wenig Stoff es gibt, ein „Nein“ bedeutet auch ein „Nein“. Es ist zusätzlich traumatisierend für Menschen, ihnen vorzuwerfen, schuld an einer Situation zu sein, für die sie schlichtweg nichts können. Und wer plant, solche Anschuldigungen auszusprechen, sollte definitiv seine Zunge hüten.

»(…) I am saying this because I feel that the word ’safety‘ with regard to women has been used far too much – all us women know that this ’safety‘ refers to, we have heard our parents use it, we have heard our communities, our principals, our wardens use it. Women know what ’safety‘ refers to. It means – you behave yourself. You get back into the house. You don’t dress in a particular way. Do not live by your freedom, and this means that you are safe. (…)«, zeigt sich Kavita Krishnan kritisch.

Text: Vanessa S.

»Hey, we’re just boys being boys!« | „Toxic Masculinity“ und warum wir darüber reden müssen

Disclaimer: „Toxische Männlichkeit“ heißt nicht pauschalisierend, dass jeder Mann toxisch ist oder sich toxisch verhalten muss. Im Folgenden werden die Einzelheiten dieses Begriffs erklärt und definiert (siehe Beispiele und Ergänzungen unten)

Boys being boys? (Beispiel für toxic masculinity)

Zwei Jungs, beide fünf Jahre alt, sind mit ihren Eltern auf dem Spielplatz. Eine Zeit lang spielen sie friedlich miteinander, es ist ein gewöhnlicher Sommertag unter der Augusthitze. Bis einer der beiden anfängt, wild umher zu toben, und nicht darauf zu achten, was er tut. Er schreit, springt herum und erwischt den anderen der beiden Jungen, welcher sich daraufhin verletzt. Als der Vater des verletzten Jungen die Eltern des Spielkameraden aufsucht und sie versucht, höflich damit zu konfrontieren, ihrem Sohn das nächste Mal zu sagen, er solle besser aufpassen, bekommt er nur zu hören: »Das tut uns wirklich leid, aber Jungs bleiben eben Jungs.«

Zwanzig Jahre später arbeitet derselbe wild tobende Junge in einem Betrieb. Er hat sich angestrengt und klettert eine hohe Karriereleiter hoch, in dem er diszipliniert und engagiert am Ball bleibt. Als er schließlich befördert wird, behandelt er diejenigen, die eine Position unter ihm arbeiten, wie Dreck. Er wird schnell laut, kann sich kaum beherrschen, wenn irgendwo eine Lücke entsteht und rammt seinen Ellenbogen mit jeder Gelegenheit gegen seine Arbeiter*innen. Als er schließlich darauf angesprochen wird, rollt er nur mit den Augen. Seinen Freunden erzählt er später, was passiert ist und fügt hinzu: »Was soll ich machen, Männer bleiben eben Männer.«

Was ist toxische Männlichkeit?

Homophobie. Belästigung. Sexismus. Gewaltausbrüche. Keine Gefühle. Stärke.

Toxische Männlichkeit kennt viele Gesichter und spiegelt sich in einigen Mienen der Gesellschaft wider. Dabei werden Verhaltensweisen, die traditionell „gern“ an Männern gesehen werden hochgelobt und angewöhnt. Warum sollten Männer weinen, Gefühle machen doch schwach? Warum sollte man andere respektieren, ich bin doch hier der Kerl, ich bekomme, was ich will?

Dominanz und Erniedrigung spielen eine wichtige Rolle, zusammen mit der Objektifizierung von Frauen. Viele Eigenschaften, die jeder Mensch haben kann (z. B. Gewaltausbrüche, Sexismus und homophobe Ansichten) werden dem traditionell angefertigten Bild des Mannes zugeschoben. Nur, wenn er keine Gefühle zeigt, ist er stark. Nur, wenn er seinen (sexuellen) Willen durchsetzt, wird er respektiert.

Alles, was nicht männlich ist, hat keinen Respekt verdient.

Boys being boys – was das jetzt eben für uns bedeutet

Wenn wir sagen, dass Jungs eben Jungs sind, heißen wir alle negativen Eigenarten gut. Wenn Männer alles sind, was Männer eben sein sollen, ist es in Ordnung, schließlich bleiben Jungs nun mal Jungs. Das ist – Entschuldigung – Bullsh*it. Damit sind wir dann nicht nur sexistisch (ups), sondern verharmlosen sogar, was uns selbst passieren kann. Niemals sollten toxische Eigenschaften zugelassen werden und niemals sollten wir alle schlechten Eigenschaften auf ein Geschlecht schieben oder zuschreiben. Wir sollten unseren Kindern nicht beibringen, sich ihrem Geschlecht »entsprechend« zu verhalten, sondern ihnen Raum geben, sich zu entfalten (Nicht: »Mein Junge soll nun mal mehr toben als Ihre Tochter. Jungs bleiben Jungs!«). Für uns bedeutet es sonst mehr Verantwortung, mehr Willkommen heißen von schlechten Eigenschaften und weniger.

Vorsicht mit der Begrifflichkeit

Das Wesentliche, was es zu unterscheiden gilt, ist, dass nicht jeder Mann toxisch-männlich ist. Glücklicherweise wandelt sich unsere Gesellschaft mit Toleranz und Vielfalt immer mehr in eine sehr offene und vor allem zunehmend vorurteilsfreie Gesellschaft. Das heißt, ein Mann muss nicht einmal männlich sein, sondern kann so sein, wie er möchte (dasselbe gilt für jede*n unter uns!). Nur, weil ein Mann eine typische (toxische) Eigenschaft hat, heißt das nicht gleich, dass er ein toxischer Mann ist und man ihm nicht mehr helfen könnte.

Weiterentwicklung und neue Sichtweisen sollten die Basis unseres Lebens sein. Und allgemein kann ein Gespräch helfen, entweder Missverständnisse oder Konflikte zu klären. Verhält sich jemand vermehrt toxisch und man kann sich sicher sein, dass diese Verhaltensweisen absichtlich aufgezeigt werden, sollte auch hier ein Gespräch gesucht werden. Wichtig ist, dass auch eine Frau sexistisch, homophob und gewalttätig sein, oder sich wie in dem obigen Beispiel verhalten kann – und das zeigt, dass auch ein Mann Gewaltausbrüche haben kann, ohne sonst zum Beispiel die Menschen in seinem Umfeld zu belästigen. Es ist also weniger eine Frage des Geschlechts (unser gutes altes Schubladendenken), sondern eine Abwägung des Verhaltens, ein Abschätzen der Gründe und im besten Fall das Suchen einer geeigneten Lösung.

Weitere Beispiele für „Toxic Masculinity“:

  • Manspreading: Ein Phänomen, bei dem (typischerweise*) Männer breitbeinig sitzen und damit mehr Platz einnehmen als nötig. Sie unterlassen es auch nicht, weil es meistens provokativ aufgefasst werden soll
  • Ernsthaftes Belächeln von (typischerweise) Frauen und Kleinreden von (typischerweise) Vorschlägen oder Ideen – man gibt niemandem die Chance, eigene Impulse im z. B. Arbeitsleben freizusetzen
  • »Jungs weinen nicht.«
  • Nicht ausreden lassen und unterbrechen von anderen Menschen

*typischerweise = jede beliebige Person kann eingefügt werden. Es ist eben nicht nur Männer gegen Frauen oder andersherum

Warum wir darüber sprechen müssen

Um ein angenehmes Miteinander zu pflegen und überhaupt erst entstehen lassen zu können, müssen wir dafür sorgen, dass sich jeder Mensch wohlfühlt. Hat jemand vermehrt Gewaltausbrüche, muss ihm oder ihr vielleicht geholfen werden. Wenn wir nur ein bunt verwaschenes Tuch darüber stülpen in Form von Aussagen wie »Aber er ist einfach ein Mann, was sollen wir machen?« oder »Ich bin ein Mann, deshalb darf ich (…)« rechtfertigen wir diese Probleme nur, gehen ihnen aber nicht auf den Grund. Und das schadet im Endeffekt nicht nur allen anderen, sondern vor allem den Menschen, die unter ihrem eigenen Verhalten leiden.

Kommentar: Vanessa S.

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