Als Politikklassen der FOS Friedberg im März an einem Vortrag des ehemaligen Soko-Ermittlers Peter Jaud teilnahmen, ergab sich im Anschluss die Möglichkeit, auch Fragen an den Zeitzeugen Dimitrios Lagkadinos zu stellen. Dieser hatte sich erstmals bereit erklärt, zusammen mit Jaud unsere Schule zu besuchen und vor Schulklassen über sein schicksalhaftes Leben zu sprechen. Unsere Autorin Laura berichtet von diesem Tag.

Wir hatten die Ehre, die Geschichte des Oktoberfestattentats aus Sicht eines Zeitzeugen zu erfahren. Der Vater von Dimitrios Lagkadinos kommt aus Griechenland und seine Mutter aus der Stadt München, in der auch er geboren und aufgewachsen ist. Zum Zeitpunkt des Anschlags war er 17 Jahre alt und mit seinem Ausbildungsbetrieb auf der Wiesn. Parallel zu ihm feierte auch seine damalige Freundin Gabi, die eine Ausbildung zu Kindergärtnerin machte, auf dem Fest. Die beiden fanden es erfreulich, etwas Zeit miteinander verbringen zu können und stahlen sich deshalb auch immer wieder von ihren jeweiligen Gesellschaften davon.

Die Zelte schlossen damals um 23 Uhr, weshalb dann auch der große Rummel außerhalb stattfand. Lagkadinos Vater machte ihm damals die Auflage, bereits um diese Uhrzeit und somit vor dem großen Gedränge daheim zu sein. Seine Freundin Gabi wollte ihn unbedingt noch zu dem Taxistand begleiten. Dimitrios Lagkadinos versuchte noch, es ihr auszureden, Gabi jedoch ließ sich nicht davon abbringen und begleitete ihn zum Taxistand, der direkt am Haupteingang war. 

Laut Lagkadinos hatten sie nicht einmal Zeit sich zu verabschieden, denn genau in dem Moment, als sie am Taxi ankamen, ging die Bombe hoch. Gabi hat das Attentat nicht überlebt. „Wie sich später herausstellte, stand sie wohl mit dem Körper zwischen mir und dem Papierkorb.“ Er selbst bezeichnet Gabi als seine Lebensretterin. Er selbst bekam nicht einmal mit, dass eine Bombe hochging. Er habe keinen Knall vernommen, sondern nur Funken sprühen sehen. Außerdem spürte er eine Art Stromschlag.

Er wurde kurzzeitig ohnmächtig und als er wieder zu sich kam, lag er am Boden mit dem Kopf an der Bordsteinkante. Er wollte sofort aufstehen, konnte aber nicht. Ein junger Mann kam zu ihm. Er beruhigte ihn und hielt seinen Kopf. Lagkadinos hatte anfänglich keine Schmerzen, doch mit der Zeit kamen sie und wurden immer stärker.

Relativ schnell kamen Sanitäter, die ihm Schmerzmittel verabreichten. Der damals schwer verletzte Lagkadinos meint, er habe nicht einmal gemerkt, wie schlimm er verletzt gewesen war. Er wurde sofort in eine Klinik gefahren, wo ihm nach und nach die Beine amputiert werden mussten. Er wurde in ein künstliches Koma versetzt, um sein Überleben zu sichern.

Dimitrios Lagkadinos selbst nennt es „ein riesiges Glück“, dass er noch lebt. Ihm geht es heute gut. 1986 lernte er seine heutige Frau kennen und 1989 wurde er Vater eines Sohnes. Er ist nach eigenen Angaben bereits seit 40 Jahren im gleichen Betrieb, in dem er nach dem Schicksalsschlag damals auch seine Ausbildung zum Zahntechniker absolvierte. 

Durch seine offene und sympathische Art fanden die Schülerinnen und Schüler leicht Zugang zum Zeitzeugen. Viele waren fasziniert von dessen starker Persönlichkeit und wollten mehr über den Münchener erfahren. Hier eine Auswahl der Fragen:

Wir haben durch Zeitungsrecherche herausgefunden, dass sie erstmal nicht mehr auf das Oktoberfest wollten, dann aber doch wieder hin sind. Wie war das für Sie?

Stimmt, ich wollte eigentlich nie wieder hin. Als mein Sohn im Kindergartenalter jedoch angefangen hat, über das Fest zu reden, habe ich mich gefragt, ob ich ihn wirklich bestrafen will mit etwas, wofür er nichts kann? Das Oktoberfest kann nichts dafür, was passiert ist und mein Sohn auch nicht. Ich bin über meinen Schatten gesprungen und bin wieder hin. Mittlerweile sind wir richtige Wiesnfans. Ich gehe jedoch nicht durch den Haupteingang, nicht weil ich Angst habe oder traumatisiert bin, nein, das ist für mich eine Sache des Respekts. Ich will da nicht vorbeilaufen, an einem Ort wo Leute ihr Leben lassen mussten und dabei Halli-Galli haben.

Haben sie noch Kontakt zu dem jungen Mann, der ihnen geholfen hat? 

Wir haben uns danach einmal getroffen, um darüber zu reden. Aber Kontakt haben wir seitdem nicht mehr.

Worüber war es am schwierigsten hinwegzukommen?

Das Schwierigste ist es zu kapieren, dass das Leben von null beginnt, dass sich alles verändert und dass man alles neu lernen muss. Wenn ich mir aber raussuchen müsste, ob ich das ganze mit 17 oder mit 40 erlebe, würde ich immer zu 17 tendieren. Du kannst einfach egoistisch sein, dich auf dich selbst konzentrieren. Man hat noch keine Familie, um die man sich kümmern muss. Kein Haus, das man abbezahlen muss und keinen Job den man unbedingt braucht. Man darf einfach den Lebensmut nicht verlieren. 

Wir danken Dimitrios Lagkadinos für seine Gesprächsbereitschaft und vor allem seine Offenheit. Die Begegnung mit dieser beeindruckenden Persönlichkeit bleibt uns sicher noch lange in Erinnerung.

Text/Foto: Laura G.